»Das absolute Maß aller Dinge« 

Thorsten Lewin, geboren 1968 in Düren, ist gelernter Schneider und bekennender Proportionist. Neben Zuverlässigkeit, Akribie und Beständigkeit zeichnet ihn eine gehörige Portion Kreativität aus. Lernen Sie Thorsten Lewin im Gespräch näher kennen …

Wie bist du zur Maßschneiderei und der Welt der Stoffe gekommen?

Mit elf Jahren hat mir mein Vater nach längerem Quengeln seinen Trenchcoat überlassen. Da der mir natürlich viel zu groß war, habe ich ihn komplett auseinander genommen, verkleinert, von Hand wieder zusammengesetzt und stolz getragen. Schon da war mir klar, dass ich im Kreativen meine Berufung gefunden habe, und als mir im Alter von 17 Jahren eine Schneiderlehre angeboten wurde, musste ich nicht lange überlegen. Nach bestandenem Abschluss zog ich nach Hamburg, wo ich neben Arbeiten für Kostüm- und Werbefilme schon immer für private Kunden Bekleidung angefertigt habe. 1998 habe ich mit meiner Frau das erste Ladenatelier im Portugiesenviertel eröffnet. Mittlerweile ist LEWIN im prosperierenden Kontorhausviertel – in unmittelbarer Nähe von Manufactum und dem Chilehaus.

Hast du dich auch an Stilikonen orientiert?

Auf jeden Fall, vor allem an David Bowie. Er hat mich, seit ich 13 Jahre alt war, nicht nur durch seine Musik und Texte, sondern auch durch seine modische Extravaganz nachhaltig beeindruckt. Auch der Schauspieler Alain Delon, mit seinen schicken Gesichtszügen und der unvergleichlichen Art, Hut und Trench zu tragen, hinterließ bei mir einen bleibenden Eindruck.

Welche aktuellen Stars würdest du gern mal in LEWIN sehen?

Den smarten Colin Firth, William Dafoe, Robert Downey Jr. oder Matt Berninger, Frontman und Sänger der amerikanischen Band The National.

Kultivierst du neben Stil, Suits und Stoffen weitere persönliche Passionen?

Ich bin begeistert von Architektur und Inneneinrichtung, vor allem Art déco und Bauhaus sowie den Arbeiten von Jean Prouvé. Dabei geht es mir immer um die richtigen Proportionen und um Ästhetik. Über unser Zuhause sagte ein Freund mal: »Bei euch sehen sogar die Schrauben gut aus.« Das ist natürlich etwas übertrieben, aber der Blick für Details und Schönheit lässt sich nun einmal nicht ausblenden. Buon Gusto findet sich überall auch im Kleinen und muss weder zwingend designed noch teuer sein. Das Spannende ist es, virtuos verschiedene Stile miteinander zu mischen. Das gilt ebenso für Musik, die mich während der Arbeit begleitet und den passenden Sound liefert: neben Indie und Jazz gerne auch New Wave oder Punk wie aktuell das Elektroduo Sleaford Mods. Außerdem bin ich leidenschaftlicher Fußballfan – mein Herz schlägt für die Mannschaft und den Verein vom FC St. Pauli. Nicht nur wegen des fußballerischen Könnens, sondern vor allem wegen der Haltung zu Themen wie Rechtsextremismus, Homophobie und Toleranz.

Wofür steht LEWIN?

Generell steht LEWIN für die traditionellen Werte sowie solides und hochwertiges Handwerk –und zwar auf Basis der modernen und zeitgemäßen Herstellungsart, der Maßkonfektion. Das bedeutet Exklusivität in Materialien wie Verarbeitung zum einen und eine gewisse Lässigkeit bei gleichzeitiger Eleganz zum anderen, und das übertragen ins heutige Straßenbild. Ich persönlich mag die nur leicht oder gänzlich ungefütterte Verarbeitung in Kombination mit etwas schwereren Stoffen am liebsten.

Was sind die Vorteile von Maßkonfektion im Gegensatz zu Maßschneiderei?

Maßgenommen wird in beiden Fällen. In der Maßschneiderei wird ein komplett neuer Schnitt für den Kunden aufgesetzt. Das ist zwar sehr individuell, aber natürlich viel zeitaufwändiger und meines Erachtens nur notwendig, wenn der Kunde eine sehr ausgefallene Figur hat oder eine außergewöhnliche Linienführung bevorzugt. Im Fall der Maßkonfektion, auch Made-to-Measure genannt, wird ein bestehender Grundschnitt auf alle Maße und anatomischen Besonderheiten des Kunden angepasst. Wenn dieser Grundschnitt exzellent aufgesetzt ist und es für die weitere Ausgestaltung des Kleidungsstücks viele verschiedene Optionen gibt, dann ist das aus meiner Sicht der optimale Ansatz. In der Anfertigung ersetzt maschinelles Arbeiten die Handarbeit überall da, wo es Sinn macht. Ein großer Vorteil ist, dass die Qualität der Machart konstant ist, unabhängig vom Charakter oder Gewicht eines Stoffes. Und – nicht zu vergessen – bei kürzere Lieferzeit und einem vergleichsweise niedrigen Preis.

Mit welchen Einstiegspreisen muss man rechnen?

Wir bieten bei unserer individuellen Anfertigung drei Preisklassen an. Am Beispiel eines Zweiteilers und ausgehend vom günstigsten Stoff mit einer geklebt verarbeiteten Front liegt man 2teilig bei 1.295 Euro (incl.MwSt.). Ein Anzug aus demselben Stoff »Unlined«, also in ungefütterter und innen entsprechend aufwendigerer Machart kostet 2teilig 1.395 Euro (incl.MwSt.), während bei der anspruchsvollen »Full Canvas«-Anfertigung 2teilig mit 1.665 Euro (incl.MwSt.) zu rechnen ist. Bei allen drei Varianten sind z.B. knöpfbare Ärmelschlitze, reines Viskosefutter und hochwertige Knöpfe aus Horn oder Steinnuss sowie, wenn gewünscht, ein gesticktes Monogramm im Preis inbegriffen.

Kannst du den LEWIN-Service noch etwas näher beschreiben?

Meine Kunden schätzen die ausführliche Beratung plus die Kombination aus hochwertiger Verarbeitung mit exklusiven Materialien, bestmöglicher Passform und kontinuierlicher Liebe zum Detail – Details make the difference. So bereitet es mir zum Beispiel große Freude, besonders ausgefallene Futterstoffe, die sich auf beiläufig erwähnte Hobbys oder Vorlieben des Kunden beziehen, unterm Tresen hervorzuzaubern. Das können Pin-ups, Hochseefischer oder auf Wunsch auch eine gedruckte Textvorlage mit persönlicher Bedeutung sein. Zudem stehe ich gerne mit Rat und Tat in Fragen bei Kombinationsmöglichkeiten einzelner Stile und Looks zur Seite.

Woran erkenne ich eigentlich einen guten Schneider?

Erfahrung, Menschenkenntnis und Handwerk. Nur das Zusammenspiel aller drei Punkte bringt ein wirklich gutes, individuelles Ergebnis. Da ist natürlich auch Psychologie und sehr viel Einfühlungsvermögen gefragt. Ich sehe es als meine Stärke und Berufung an, dass ich sehr individuell auf jede Persönlichkeit eingehe. Eine bequeme Sitzecke und ein dezentes Kaltgetränk tun ihr Übriges für einen zielführenden Austausch. Zusätzlich ist es wichtig, eine vertrauensvolle und langfristige Zusammenarbeit mit seinen Schneidereien und last not least die besten Webereien als Partner zu haben. Beides ist bei mir der Fall.

Ich brauche den perfekten Hochzeitsanzug. Was erwartet mich als Neukunde?

Wir vereinbaren einen Termin fürs Erstgespräch. Hier lernen wir uns kennen und sondieren Schnittvorstellungen, Verarbeitungsoptionen und in welche Richtung der Stoff gehen soll. Das dauert eine, mit Vermessen maximal zwei Stunden. Ausrisse aus Zeitschriften, Handypics von z.B. Eddy Redmayne im Dreiteiler oder die aktuelle Lieblingshose dürfen übrigens gerne mitgebracht werden. Wer selbst noch gar keinen Plan hat, bekommt den natürlich von mir. Sobald alle Fragen und Details geklärt sind, leistet der Kunde eine Anzahlung von 50 Prozent. Dann übertrage ich meine für die Schneidereien mitgeschriebenen Notizen und Erkenntnisse aus den abgesteckten Musterteilen in ein Auftragsformular – mit allen Maßen, Styles, Details sowie sonstigen Extras. Nachdem bei meinen Webereien der Stoff in der benötigten Metrage bestellt worden ist, beginnt die Anfertigung und etwa fünf Wochen später trifft das gute Stück ein. Beim anschließenden Fitting werden eventuell nötige Anpassungen besprochen, abgesteckt und in Hamburg vorgenommen. Somit hat der Kunde nach sechs bis acht Wochen ein neues Lieblingsstück. Damit wir immer wieder auf die gewonnenen Erkenntnisse zurückgreifen können, wird alles akribisch in der Kundenkartei festgehalten. Denn oft ist ja der erste Anzug oder das erste individuell angefertigte Hemd die Einstiegsdroge in die Welt der Maßanfertigung.

Neben »Su misura« bietest du eine »Ready-to-wear«-Kollektion aus Denim an. Was hast du als nächstes im Kopf?

Ich werde mich weiter damit beschäftigen, wie man den Cross-over von der hochwertigen Schneiderei zur Casual-Thematik hinbekommen kann. Zum Beispiel die »Pantaloni Casuali«, eine lässige und zugleich elegante Bundfaltenhose aus Jersey. Damit greife ich das wachsende Bedürfnis nach bequemer und zwangloser Bekleidung auf. Ergänzend wird es, auch verstärkt als Ready-to-wear, also to go, passende Oberteile in Form von Hemdjacken und Blousons geben – aus exklusiven Stoffen und der gewohnt hochwertigen Verarbeitung. Von der Aussage her lässiger als noch vor zehn Jahren, aber trotzdem bleibt die Eleganz nicht auf der Strecke.

Fotos: Bettina Lewin